Portrait

„Wer stehen bleibt, wird überflüssig“

Kai Diekmann prägt und polarisiert die deutsche Medienlandschaft. Über 30 Jahre diente er dem Axel-Springer-Konzern, davon 15 Jahre als Chefredakteur der Bild-Zeitung. Sein Buch „Ich war Bild“ beleuchtet diese Zeit.

Bei einer Lesung, zu der Bürobesuch Ende 2024 einlud, las er spannende Passagen und erzählte skurrile Geschichten aus dem Redaktionsalltag. Im Interview mit Bürobesuch-Herausgeber Constantin Kaindl sprach Diekmann über die Höhen und Tiefen seiner Zeit als Chefredakteur und die neuen Herausforderungen der Selbstständigkeit.

Experimentierfreude, Wandel und Schlüsselmomente

„Als Bild-Chefredakteur war ich fremdbestimmt“, sagt Diekmann. Rasche Entscheidungen, Verantwortung für tausende Mitarbeiter und ein öffentliches Profil prägten seine Zeit an der Spitze der auflagenstärksten deutschen Zeitung. „Jetzt bin ich selbstbestimmt. Ich fühle mich wieder ganz bei mir.“ Nach seinem Abschied von Bild 2017 blieb Diekmann der Medienwelt treu, wechselte aber die Perspektive. Mit Philipp Jessen und Michael Mronz gründete er die Agentur Storymachine, die Unternehmen hilft, ihre Präsenz in sozialen Medien zu stärken. „Heute kann jeder sein eigener Chefredakteur sein“, erklärt Diekmann und stellt fest: „Ohne einen Social-Media-Auftritt existiert ein Unternehmen für fast zwei Generationen nicht mehr.“

Die Gründung eines eigenen Unternehmens und die einhergehende Verantwortung bezeichnet Diekmann als Herausforderung. Doch die Neugierde sei schon immer sein Antrieb gewesen: „Neues ausprobieren, Dinge hinterfragen, experimentieren – das hat mich immer fasziniert.“ Früh erkannte er die Macht von Social Media und heute die Potenziale der Künstlichen Intelligenz. „Mich interessiert, wie KI unsere Kommunikation verändern wird.“

Silicon Valley als Wendepunkt

Die erste intensive Auseinandersetzung mit digitalem Marketing und KI erfolgte bei einem Aufenthalt im Silicon Valley, einer Art Dienstreise im Auftrag des Springer-Chefs Mathias Döpfner 2012. „Ich wusste, dass die Erde keine Scheibe ist“, schmunzelt Diekmann. „Aber dort erkannte ich, wie radikal die Veränderung ist, die auf uns zukommt.“ Ein Jahr lang traf Diekmann Gründer, Vordenker und Visionäre – von Travis Kalanick (Uber) bis zu Sheryl Sandberg (Facebook) – und machte sich ein Bild davon, wie Technologie das Mediengeschäft revolutioniert. „Entweder man verändert sich, oder man wird verändert“, war Diekmanns Fazit.

Diese Erkenntnis brachte er nach Deutschland. Er trieb den digitalen Wandel bei Bild voran, veränderte Workflows und stellte die Redaktion neu auf. „Die Printbäume wachsen nicht mehr in den Himmel“, verkündete er damals. „Aber das ist keine schlechte Nachricht – wir sind schließlich keine Papierhändler, sondern Geschichtenerzähler.“ Seine Umstrukturierung war schmerzhaft und umstritten. „Ich wurde öffentlich kritisiert, weil die Printauflage sank. Doch wir waren mitten im gewollten Medienwandel. Wir mussten Altes loslassen, um uns neu zu erfinden.“ 2001 lag die Printauflage der Bild-Zeitung bei 4,4 Mio. Exemplaren. Heute hat die Bild eine Auflage von rund 1 Mio. verkauften Exemplaren, erreicht durch die digitalen Formate aber rund 6,4 Mio. Menschen.

„Entweder man verändert sich, oder man wird verändert“, resümiert Kai Diekmann seine Learnings aus dem Lehrjahr im Silicon Valley 2012.

Mentoren und Meilensteine

Diekmanns Karriere wäre ohne Mentoren und prägende Menschen anders verlaufen. Ob Schuldirektorin, Bundeswehr-Offiziere oder Mediengrößen wie der ehemalige Bild-Chef Claus Larass. „Ich hatte das Glück, zur richtigen Zeit die richtigen Leute zu treffen, die mir den Weg wiesen.“ Ein entscheidender Schub kam in seiner Zeit in New York. Dort wäre er als junger Journalist gern länger geblieben. „Ich habe meine Abreise zweimal hinausgezögert. Bis mich Claus Larass nach Bonn zurückbeorderte – und damit die Weichen für meine berufliche Laufbahn bei der Bild gestellt hat.“

Zuletzt stellte der Sprung ins Unternehmertum Diekmann vor Herausforderungen. „Plötzlich trifft man Entscheidungen mit eigenem Geld, trägt Verantwortung für die Lebenswege junger Leute.“ Dennoch reizt ihn das Neue. „Es ist eine völlig andere Herausforderung, aber unglaublich spannend.“

Transformation als Lebensaufgabe

Was können Unternehmen von Kai Diekmann lernen? Transformation ist kein Selbstläufer. „Viele haben kein Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsproblem.“ Sein Ansatz: „Ein erfolgreicher Wandel muss von oben kommen. Ein konsequenter Top-down-Prozess, der darauf abzielt, die Workflows zu verändern. Transformation bedarf einer klaren Führung und der Bereitschaft, sich vom Legacy-Business zu verabschieden.“ Auch heute, in seiner Rolle bei Storymachine, sieht er die Notwendigkeit, Prozesse und Workflows an die digitale Welt anzupassen. „Ein Tweet, der fünf Freigabe-Schleifen durchläuft, ist wertlos.“

Kai Diekmann bleibt ein Mann des Wandels – ein Journalist, der den Medienwandel frühzeitig erkannte und als Unternehmer seine Erfahrungen nutzt, um andere durch den digitalen Dschungel zu führen. Und er ist ein Mensch, der Veränderung begrüßt, denn: „Wer stehen bleibt, wird überflüssig.“

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